Zeitzeuge Dr. Detlef Hachtmann
Als Arzt in den DDR-Grenzdörfern
geboren am 17.08.1940 in Schwerin
Als Arzt im Sperrgebiet
Der Grenzzaun
Kontakte mit der Bleckeder Kirchengemeinde
Die Grenzöffnung
Als Arzt im Sperrgebiet
Mein damaliger Chef, Dr. Rindelin. als ich mich bei ihm vorstellte, empfing mich damit, dass er sagte, sie sind hoffentlich „Nichtschwimmer“? Ja, habe ich gesagt, bin ich dann…
Warum „Nichtschwimmer“?
Gerade kurze Zeit vorher waren zwei Kollegen hier aus dem Amt da, ein
Zahnarzt und ein Tierarzt. Und waren nach einem nächtlichen Besäufnis durch die Elbe gegangen, die war so flach damals. Einer kam wieder zurück.
Der andere blieb drüben.
Gut, ich war also nicht Nichtschwimmer und deswegen durfte ich dann hier anfangen, in diesem Sperrgebiet.
Als Kuriosum, um musste irgendwann eines Tages runter in den Karsener Bereich, hatte da eine Ausnahmegenehmigung, komme an den Schlagbaum:
„Personalausweis zeigen? Zugang?“ „Ach“, sage ich, „den habe ich nicht!“
„Das ist eine strafbare Handlung!“ „Ja“, sage ich, „den habe ich trotzdem nicht.
Ich hatte nämlich meine Bereitschaftstasche vergessen. Und für einen Hausbesuch brauche ich die Bereitschaftstasche.
„Ich muss also zurückfahren!“ „Nein, Sie dürfen nicht zurückfahren!“
„Ja dann weiß ich nicht, wie ich den Passierstein holen soll. Dann könnte ja der Fahrer fahren?“„Nein, das geht auch nicht.“ „Ja, dann weiß ich es auch nicht!“
Ich wurde dann aus dem Auto geholt und jemandem von den bewaffneten Grenztruppen an der Seite gestellt und bewacht, wir haben uns sehr nett unterhalten, aber er hatte eine schussbereite Waffe in der Hand.
Und der Fahrer durfte dann doch zurückfahren und durfte die Tasche holen. Und da war er noch diese berühmte Passierstein mit drin.
Der Grenzzaun
Ich durfte ja noch bis an den Grenzzaun rauffahren. Es gab bestimmte Auffahrten, damit man zu dem Vieh, welches hinter dem Grenzzaun stand, auch kommen konnte.
Und dann sagte man dem Fahrer: „Ich muss mal durchgucken.“
Wir mussten wenden und dann fuhr er diese Auffahrt zum Deich hoch und dann guckte man, konnte man durch diesen Streckstahl schauen,
und etwas erkennen, das war kaum möglich. Das war ein schwedischer Spezialstahl dass man selbst, wenn man davor stand, die andere Seite gar nicht identifizieren konnte.
Es blieb verborgen, es wurde mir offenbar als ich Mütterberatung machte. Alle Kinder im Gebiet wurden besucht und man versammelte sich in einem Dorf, in einem Zimmer.
Im Café Rautenkranz, hier an der Fähre war also auch Mütterberatung, im oberen Stockwerk, war damals ja kein Café, das durfte da gar nicht sein.
Und da konnte ich über die Elbe gucken, richtig über die Elbe gucken,
also zum ersten Stockwerk heraus und sagte damals:
„Merkwürdig, was ist da unten am Ufer los, auf der anderen Seite, da sind so viele Leute? Ach ja, für die ist ja Ostermontag, ein Feiertag – für uns nicht!“
So gab es immer wieder mal einen Blick, aber man durfte ihn auch nicht ausnutzen. Das habe ich auch nicht gemacht.
Kontakte mit der Bleckeder Kirchengemeinde.
Wir haben durch diese Begegnung mit der Kirchengemeinde Bleckede eine wunderbare Erfahrung gemacht. Es war ein Besuch das Kirchenchores Bleckede bei der Kirchgemeinde Neuhaus mit dem Kirchenchor Neuhaus.
Der damalige Kantor Herr Kellermann, sagte – nach die Mittagessen wurden die Leute alle aufgeteilt –„die Frau soundso, die muss zu den Hachtmanns, die verstehen sich musikalisch gut“.
Wir haben dann nachmittags zusammen gesessen und miteinander musiziert. Die Frau, die zu uns kam, spielte wunderbar Klavier und meine Frau mit der Querflöte und ich mit dem Cello dazu.
Das war unsere Begegnung bei einem Treffen zwischen Bleckede und Neuhaus: Das wir zusammen musiziert haben – Musik verband uns miteinander!
Diese Verbindung ist bis heute geblieben.
Die Grenzöffnung
Am 9. November sahen meine Frau die Nachrichten und hörten diese
Worte von Schabowski damals.
„Ja ich glaube, es kann jetzt jeder in den Western fahren“ und da haute ich mit der Faust auf den Tisch und sagte „So ein Quatsch! Ich will nicht in den Westen reisen, ich will auch wiederkommen können!“
Und daraufhin machten wir das Radio aus und dachten, wir müssten uns nun die Zeitung vornehmen, da sind sicher wieder vier Seiten Rede von Egon Krenz oder von sonstwem drin und das müssen wir alles noch lesen und sind dann kurz vor Mitternacht zu Bett gegangen.
Nächsten Morgen wurden wir in der Praxis empfangen und hatten keine Ahnung! Ja das war also der Tag der Grenzöffnung, wir haben die Zeit verschlafen würde ich sagen (lacht).
Ich hatte am 9. November und das Wochenende darauf Bereitschaftsdienst zu immer und dann konnte ich nie weg, muss ich da bleiben. So sind wir erst drei oder vier Tage später das erste Mal mit unserem Trabbi über die Grenze gefahren.
Es war einfach sagenhaft! Auf dieser Straße von Boizenburg nach Horst stand Auto an Auto und lauter lachende, lustige und freudige Leute liefen neben dem PKW hinterher, so langsam ging das voran.
In Lauenburg wurden wir so empfangen, dass einfach das fast das Herz stehen geblieben wäre!